Gezappt - Die Fernbedienung, das Zepter des kleinen Mannes

Ich bin Familienvater. Zwei Kinder, ebensoviele Jobs, kurz: Ich habe wenig Zeit. Meine Ruhephasen sind knapp bemessen und, machen wir uns nichts vor, die Zeiten, zu denen ich in Clubs die Nacht zum Tage machte, liegen lange zurück, weil die Lust darauf einfach irgendwann nachlässt, wenn man weiß, dass Kinder nur unter der Woche geweckt werden müssen, am Wochenende aber gegen 7 Uhr bespaßt werden wollen. In TV-Marketingdeutsch heißt das: Ich bin die Zielgruppe! Ich sitze also Samstagabend vor dem Fernseher und ich bin willig, mich unterhalten zu lassen.

Wir schreiben den 07.12.2013. Ich komme gegen 20:45 Uhr von einer Feier bei Nachbarn nach Haus. Der Nikolaus war da, es gab leuchtende Kinderaugen, die nun zu Bett gebracht und geschlossen werden müssen. Je höher der kinderliche Adrenalinpegel, desto schwieriger gestaltet sich die Aufgabe, aber bald ist es geschafft und ich sitze auf dem Sofa, mit der Fernbedienung in der Hand und fest entschlossen sie einzusetzen. Das Zepter des kleinen Mannes.

SAT 1. Hugh Jackmann kämpft mit einem Roboter gegen einen anderen Roboter. Ich bekomme das Testosteronäquivalent des Milcheinschusses. Läuft leider schon eine Stunde, aber hey, Roboterboxen! ICH LIEBE HUGH JACKMAN!

ZDF. Birdy sitzt am Klavier, jetzt muss es schnell gehen! Ich wäre nicht der erste, der beim Zuhören einen qualvollen Langeweiletod erlitten hätte. Lana del Rey hört Birdy zum runterkommen nach ihren eigenen Auftritten. Mit letzter Kraft drücke ich den Knopf, bevor die Müdigkeit mich übermannt.

ARD. Veronica Ferres, der fleisch gewordene Umschaltgrund. Das EPG-Infodings zeigt "Hafen der Düfte" an. HAFEN! DER! DÜFTE! Man hätte ihn auch einfach "Fisch" nennen können. Mein Finger drückt schneller die Fernbedienung als der Roadrunner in einer Staubwolke verschwinden kann.

RTL. Eine ganz offensichtlich manische ältere Dame tobt über eine Bühne, versucht "Wochenend und Sonnenschein" zu singen, trifft dabei keinen einzigen(!) Ton, was auch irgendwie eine Leistung ist, und wird begleitet von den Fischerchören, die wiederum von etwas angetrieben werden, das die Zombieapokalypse vermutlich überleben würde, weil die Zombies während der Diskussion darüber ob er einer von ihnen ist, einfach verhungern würden. Was RTL dem Zuschauer mittlerweile zumutet ist eine Beleidigung und das Schlimmste ist, dass das debil mitklatschende Studiopublikum das nicht mal merkt. Ich bin mir fast sicher, dass mindestens 50% des Produktionsbudgets in das Abfüllen des Publikums fließt. Fließen muss! Anders ist das im Grunde nicht zu erklären, wenn man sich ein kleines bisschen Hoffnung bewahrt hat, dass das Volk noch nicht vollends verdummt ist.

SAT 1. Evangeline Lilly ist wunderschön. Hugh Jackman küsst Evangeline Lilly. ICH HASSE HUGH JACKMAN!

PRO 7. Es ist nicht so, dass ich ihn nicht auch irgendwie mögen würde und er nicht seine Momente hat, aber wer auch immer der Meinung war, dass Elton eine 4-Stunden-Show am Samstagabend trüge ist ein Idiot.

VOX. Die Gesichter von Klaus Meine und Rudolf Schenker sind 1A. Da sieht man nicht eine Narbe. Und das Suchen wird von guter Musik begleitet, denn die Scorpions haben in den 80ern ein paar wirklich gute Alben rausgebracht. Die Frau sieht das leider anders. Unterm Strich herrscht halt nie wirklich der mit dem Zepter.

Es folgt die Tyrannei der Dritten Programme. Tatort-Wiederholungen, Ohnsorg Theater, eine Dokumentation von (mit?) (über?) Konstantin Wecker. Der Mann ist furchtbar langweilig, wenn man bedenkt, dass er in den 90ern angeblich am Tag mehr Geld durch die Nase gezogen hat als manch einer im Monat verdient.

Wir suchen inzwischen über eine Stunde nach etwas ansatzweise Guckbarem, als wir aufgeben. Die Einschätzung der Frau, dass es in den oberen Programmregionen der Fernbedienung sicher nicht besser werden würde, ist vernichtend zutreffend und so greifen wir zum Buch. Es ist Samstagabend, es ist etwa halb 11. Liebes Fernsehen, ich bin die Zielgruppe und ich möchte unterhalten werden!

Herzlichst,
Ihr Rock Galore

P.S. Vor dem Griff zum Buch steht noch einmal der zur Fernbedienung.
Noch einmal kurz SAT 1, noch einmal ein kurzer Blick auf Evangeline Lilly. Gott, wie ich Hugh Jackman hasse.

Kommentare

  1. Festplattenrekorder.
    Das beste beste beste Geschenk, dass sich ein Paar kurz vor der Geburt des ersten Kindes machen kann.
    Und auch die Jahre danach. Da bedeuten "Rääwääh!!!!" oder "Was triiiinken!!!" aus dem Kinderzimmer nicht mehr, dass man Schlüsselszenen oder Lieblingsserien verpasst.
    Und das Zepter ist wieder ein Zepter!
    LG, Cloud.

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    1. Hallo,
      wir besitzen selbstverständlich einen Festplattenrecorder. Seit 6 Jahren nun schon und ich liebe das Gerät. Es ändert aber nichts daran, dass der Samstagabend im Fernsehen einem Gruselkabinett gleicht. Und das Hugh Jackman ungestraft Evangeline Lilly küssen darf! (Obwohl ich fast sicher bin, dass sie dabei die ganze Zeit an mich gedacht hat)
      Außerdem setzt ein solches Gerät voraus, dass in den vorangegangenen Tagen etwas aufzeichnungswürdiges gelaufen wäre. Da die Fernsehsender aber irgendwann dazu übergegangen sind, das interessante Programm auf gefühlte 2 Monate im Jahr und auf die Feiertage zu verteilen, gibt es lange Phasen, wo man nicht mal genug Sendungen aufzeichnen kann. Jedenfalls empfinde ich das so.

      Herzlichst,
      Rock Galore

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  2. Yo, kennich. So gelacht bei "HAFEN! DER! DÜFTE! Man hätte ihn auch einfach "Fisch" nennen können. Mein Finger drückt schneller die Fernbedienung als der Roadrunner in einer Staubwolke verschwinden kann."
    Titel deutsche Fernsehfilme, selbst ohne Vernocia Ferres, sind soooo - FISCH!

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