Eine gut gemeinte Warnung

Weitgehend schlaflose Nächte, wenig Geld bei hohen Kosten, kaum noch Freizeit, Karriere vorbei. Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Das alles (und noch viel meeeeehr) hat man schon mal gehört, wenn das Thema Nachwuchs zur Sprache kam. Gutgemeinte Ratschläge und Wahrheiten. Und mit einem ihrer Lächeln ist dann bekanntlich alles wieder gut. Zu den Dingen, vor denen einen niemand warnt, wenn es an die Familienplanung geht, gehören definitiv Sommerfeste. Ich möchte deshalb in diese Bresche springen und Sie mit Nachdruck warnen: Machen Sie einen großen Bogen um Sommerfeste und dann machen Sie einen großen Bogen um diesen Bogen!

Sommerfeste haben grundsätzlich immer im Regen stattzufinden. Das ist eine unausgesprochene Regel, aufgestellt von niemand Geringerem als dem Universum selbst. Je strömender, desto besser. Das Datum ist dabei egal. Meteorologisch gesehen ist das Sommerfest ein Wetterloch, ein Phänomen. Fragen Sie ruhig Herrn Kachelmann, wenn Sie mir nicht glauben. Schon in einem wenig bekannten Teil der Bibel steht geschrieben, dass die Sintflut während eines Sommerfestes begann. Mitte August.

Besonders schlimm ist es natürlich auf dem Dorf. Ich möchte Ihnen daher kurz erläutern, wie so ein Sommerfest gemeinhin abläuft. Zunächst betritt man den Dorfplatz neben der alten Feuerwache. Oder dem alten Rathaus, der alten Dorfbäckerei, Sie erkennen das Prinzip. Es ist von immenser Wichtigkeit, dass solche Feste neben einem alten Gebäude stattfinden. Außerdem ist da immer ein großer, ebenfalls sehr alter Baum. Eine Eiche meist, möglicherweise eine Kastanie. Es gibt eine kleine, überdachte (die Immer-Im-Regen-Regel ist den Organisatoren ja bekannt) Bühne und zu einem vorher definierten Zeitpunkt tröpfeln die ersten Eltern ein. Es sind immer und nahezu ausschließlich Eltern und/oder Großeltern, denn während man bei diesem Wetter keinen Hund vor die Tür schicken würde, ist das bei den nächsten Verwandten kein Problem.

Die Kinder stürmen sofort auf die Bühne, wo sie später auftreten werden, denn da ist es wenigstens trocken. Um sie in Stimmung zu bringen wird eine Karaokemaschine eingeschaltet, aus der Helene Fischer über den kleinen Platz schallt. Und über das Dorf. Und über die umliegenden Dörfer. Und über weite Teile des umschließenden Verwaltungsgebiets. "Atemlos" gewinnt eindeutig, wenn es von einer 7-jährigen trotz Mikro aus vollem Herzen in die Welt gebrüllt wird. Andererseits gewönne "Atemlos" bereits, wenn es von einem altersschwachen Chiwawa mit defektem Verdauungstrakt durch eine Trillerpfeife gefurzt würde.

Vater und Mutter der beiden Kinder, die man schon länger für irgendwie auffällig hielt, stehen am Bierwagen. Warum auch nicht, ist ja schon 10 nach 3. Sie hauchen dir ein alkoholschwangeres "Hallo" entgegen und man analysiert kurz, ob es wohl schon das fünfte oder erst das dritte Bier sein mag, während dir Regenwasser vom Schirm des Nebenmannes kalt in den Kragen läuft. Der Vorsitzende des Dorfverschönerungsvereins und Organisator des Festes, ein Mann, den man nicht unbeaufsichtigt in der Nähe seiner Kinder wissen möchte, bahnt sich mit Betonlächeln, und -frisur, den Weg durch die Massen der etwa 12-15 Elternpaare. und macht dabei gefühlte 27x einen "Na, wer hat nicht aufgegessen?"-Scherz.

Als er an der Bühne ankommt und sich das Mikro greift ertönt eine Rückkopplung, die Hunde im Umkreis von etwa 3 Kilometern schmerzvoll aufheulen lässt. "Na, da hat aber jemand nicht aufgegessen." Inzwischen scheint der Schuldige also gefunden zu sein, ein Glück. Die anderen Anwesenden sind auch überrascht, anders kann ich mir das vereinzelte leise Gekicher nicht erklären. Nach der Rückkopplung wird der Ton so weit runtergedreht, dass man glücklicherweise kaum was von seiner Rede mitbekommt. Ob er jetzt den Auftritt der Erstklässler der örtlichen Grundschule ankündigt oder den Einmarsch in Polen wird nicht ganz klar, aber es scheinen die Erstklässler zu sein.

Nur etwa die Hälfte der Klasse ist auch erschienen, die anderen sind, vermutlich wegen des verdammten Regens wichtiger Termine, verhindert. Die Kinder teilen sich in kleinen Gruppen insgesamt drei Mikrofone, man hört aber trotzdem nichts. Als nach 2,5 von 3 Liedern endlich eine Lautstärkeregelung gefunden ist, bei der man was hört und trotzdem einigermaßen von Rückkopplung verschont ist, wünscht man sich relativ schnell das durchdringende Fiepsen zurück. Man hört nur jeweils das Kind, das grade das Mikro hält, um das aber standhaft gekämpft wird. Das Eigene kichert zwischendurch durch die Lautsprecher, der Gesang insgesamt ist, nun ja, bemüht.

Unsere beiden Mustereltern haben derweil ihre drölften Biergläser doch kurz aus der Hand gelegt, um zu applaudieren, bemerken aber nicht, dass ihr ältester Spross neben ihnen seiner kleinen Schwester auf der Bühne in Christiano-Ronaldo-Freistoß-Gedächtnispose beide Mittelfinger zum Gruß hinstreckt. Oder es ist ihnen einfach egal. Man weiß ja auch so wenig über die Gepflogenheiten in anderen Familien. Während die Viertklässler ihren Auftritt vorbereiten, den sie "ganz allein und völlig ohne fremde Hilfe" (ein Euphemismus für Lehrerknappheit) vorbereitet haben, bekommen die kleinen Künstler zwei Tombolalose. Zwei. Ab drei Nieten gewinnt man einen Trostpreis, aber es gibt nur zwei Lose. Merkense, ne?

Es geht also schnurstracks zum Losverkauf, um weitere Nieten Lose mit Potential zu kaufen. Etwa 15€, zwei Stücke Frusttorte und einen Kaffee, der geschmacklich irgendwo zwischen warmgemachtem Wasserentkalker und dem morgendlichen Mittelstrahlurin einer schwangeren Perserkatze liegt, später besitzen die Kinder zwei Fingerskateboards aus Plastik im Wert von geschätzten 20 Cent, die Tochter zudem einen pinken "Hello Kitty"-Aktenordner und der Sohn ein lila Hannah-Montana-Schlampermäppchen etwa aus dem Jahr 2007, das ebenfalls sofort in den Besitz der Tochter übergeht. Game, Set and Match Doppel-X-Chromosom. Die Hosenbeine aller Anwesenden haben sich inzwischen bis zum Knie mit Wasser vollgesogen, die Viertklässler-Jazztanzgruppe macht langsam die Bühne frei für die Kindergartenkinder und das Publikum wechselt zum dritten Mal komplett. Die einen Eltern stürmen den Losstand, neue Eltern strömen vor die Bühne. Es scheinen sogar ein paar mehr zu sein. KiGa-Eltern, so jung, so naiv. Im Rangeln um die besten Plätze piekst eine Mutter jemandem mit ihrem Regenschirm ins Auge.

Man selbst geht nach Hause, heftet die Erinnerung an den Tag in den nagelneuen "Hello, Kitty"-Ordner, weint ein bisschen in das Mäppchen, das Miley Cyrus zeigt als sie noch nicht nackt auf Abrissbirnen ritt, macht einen warmen Kakao für alle und hofft inständig, dass sich niemand in den nassen Klamotten erkältet hat.

Also, hier mein sehr gut gemeinter Rat: Halten Sie sich fern von Sommerfesten!
Obwohl, man ist ja schon stolz darauf, das eigene Kind auf der Bühne zu sehen. Und sie hat so schön ins Mikro gekichert. Es ist halt doch so: Wenn sie dann einmal lächeln ist ja doch alles wieder gut.

Herzlichst,
Ihr Rock Galore

PS: Dieser Text ist nur teilweise biographisch. Der Teil, in dem Sie sich selbst entdecken und verunglimpft fühlen ist selbstverständlich frei erfunden. Der Teil, wo Sie Ihre Nachbarn amüsant, treffend und/oder scharfzüngig korrekt beschrieben sehen, ist detailgenau nacherzählt. Diese also in Teilen fiktive Geschichte hat sich am gestrigen Nachmittag mehr oder weniger nicht zugetragen und der Autor muss, offensichtlich als Strafe für diesen Blogpost, die letzten Sätze an einer fiesen Männergrippe erkrankt in sein Notebook tippen. Wünschen Sie ihm gute Besserung oder dass es wenigstens schnell geht, wir wissen alle wie Männergrippen im Normalfall enden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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