Minidisko

Ferien, die schönste Zeit des Jahres. Nach Jahren über Jahren Urlaub in schwedischen Blockhäusern, holländischen Strandhütten und biologisch abbaubaren Holzverschlägen in der Lüneburger Heide zieht es irgendwann auch die ökologischsten Bioeltern mit ihren Dorfkindern aus Freilandhaltung in den Sommerferien ihrer Montessori-Schule in einen Pauschalurlaub. 4 Sterne Minimum, All-Inclusive, Süden.  Manchmal will man nicht den halben Tag mit Wäsche, Kochen, Abwasch und dem Einkauf verbringen, bevor man sich ein bisschen Entspannung gönnt. Man will Urlaub, keinen "Alltag, nur woanders". Und so setzt man einen großen Haufen auf die Energiebilanz, zündet ihn mit Hilfe feinsten Kerosins an und setzt sich in einen Flieger. Man brutzelt fortan in der Sonne, während einem alle lästigen Aufgaben von wunderbaren Menschen abgenommen werden. Ja, wirklich alle Unannehmlichkeiten. Alle, bis auf den Besuch der Minidisko.


Die Minidisko, das sollte man für alle Nichteltern kurz erklären, ist der Anker im kindlichen Pauschalalltag. Eine halbe Abendstunde, in der in Hotels überall auf der Welt dieselben Lieder erklingen und Animateure den untalentierten so was von niedlichen Nachwuchs dieselben Choreographien tanzen lassen. Der einzige Grund, warum unser schöner Planet noch nicht von Außerirdischen übernommen wurde, ist vermutlich, dass aufgrund der Zeitverschiebung immer irgendwo auf der Welt gerade eine Minidisko den Eindruck erweckt, als wären wir einfach zu primitiv, um einen Mehrwert für eine höhere Macht darzustellen.

Dabei ist die Minidisko kein Event, sondern mehr ein Prozess, der mit der ersten Ferienreisewelle beginnt. Am ersten Abend stehen auf der Bühne in der Regel 3 Kinder, 2 Mütter und 2 Omas. Manchmal auch drei, die genaue Anzahl schwankt. Einige Väter und Opas schwanken zu diesem Zeitpunkt auch schon, allerdings aus gänzlich anderen Gründen. Es scheint jedenfalls für das kosmische Gleichgewicht von äußerster Wichtigkeit zu sein, dass sich mehr Erwachsene als Kinder auf der Bühne befinden. Ebenfalls sieht man in diesem Treiben nie Männer älter als 12. Warum weiß ich nicht, vermutlich irgendwas sexistisches. Sie sehen, die Minidisko ist bereits zu Beginn ein kompliziertes Sozialgebilde.

Das bunte Treiben beginnt mit einem Klassiker der Kinderbelustigung "If you're happy on vacation - clap your hands", leicht urlaubskompatibel abgewandelt. Die, zugegebenermaßen ziemlich kritiklose, Verwandtschaft im spärlichen Publikum hält es kaum auf den Sitzen, wenn der grade stubenreine Nachwuchs zu Klatschen beginnt. Immerhin haben die zweifellos talentierten Stammhalter durch diese Fähigkeit den Tyrannosauriern schon mal eine ganze Ecke voraus, warum sollte man sowas nicht auch mal feiern? Die sind schließlich ausgestorben. Wahrscheinlich, weil sie nicht klatschen konnten.

Ein circa 2,5-jähriger Junge rennt von Sekunde eins an von einer Seite der Bühne zur anderen und versucht dabei nicht mal, im Takt zu bleiben. Er wird verfolgt von seiner Mutter, die erheblich langsamer ist, weil sie wenigstens versucht, die Choreographie einzuhalten, die durch ihre gebückte Haltung auf Kindhöhe nicht unbedingt besser wird. Seine etwa 8-jährige Schwester klammert sich etwas abseits an die Beine ihres Vaters.

Zwei Songs später. Dem jungen Mann am Mischpult steht ins Gesicht geschrieben, dass er den Abend weitaus lieber mit etwas wie "If you´re happy on vacation suck my dick" begonnen hätte. Er legt seinen Frust darüber, dass er eigentlich DJ wurde, um besoffene, sexuell frustrierte Touristinnen auf Familienurlaub abzuschleppen, in ein Village People-Medley aus YMCA und In The Navy. Zeitlose Klassiker, die bei tanzenden Müttern wie Omas gleichermaßen das Östrogen geysirgleich übersprudeln lassen. Der kalkweiße Nachwuchs grölt, aufgrund mangelnder Englischkenntnisse, lauthals "In The Lady", was einen gewissen Unterhaltungswert hat und das Wunschdenken des DJs treffend zusammenfasst, und marschiert unbeholfen salutierend über die Bühne, fast so schön wie die neue Bundeswehr.

Die Mutter des oben schon erwähnten tasmanischen Teufels des Kindertanzes versucht inzwischen ihre Tochter mit einem imaginären Brecheisen von den unteren Extremitäten ihres Mannes zu entfernen, während sie ihr lauthals erklärt, wieviel Spaß das Tanzen macht, während sich die Gegenseite von dieser Information nahezu völlig unbeeindruckt zeigt und sich weiter mit allen zur Verfügung stehenden Fingernägeln im Bein des Vaters festkrallt, der die daraus resultierenden Schmerzen erfolgreich mit einer Piña Colada runterspült. Das Mädchen wird bis zum Ende der Show (in den meisten Fällen wiederholt sich die Prozedur allabendlich bis zur Abreise) nicht dazu zu bewegen sein, mitzumachen. Man fühlt sich unfreiwillig an Bettina, ihre Mutter und die drei grunzenden Schweine aus "Kein Pardon"¹ erinnert.

Den krönenden Abschluss der Minidisko bildet schließlich eine Polonaise, bevor die Kinder mit einer  stark an einen Autoscooter erinnernden Stimme von der Bühne gedrängt werden, um Platz zu machen, für die Abendshow der Animateure. Die Erwachsenenunterhaltung. It´s Showtime, Mr. und Mrs. Ferienhotel wählen sich schließlich nicht von allein.

Im Laufe des Aufenthalts kommen nahezu täglich mehr Kinder hinzu und das Kind/Erwachsenen-Verhältnis relativiert sich deutlich. Die Älteren spulen die Choreographien, die beängstigenderweise oft noch aus dem letzten Urlaub irgendwo tief im Unterbewusstsein gespeichert sind, souverän bis gelangweilt runter, während die Kleineren bewundernd zu ihnen aufschauen. An einem der letzten Tage ertappt man sich selbst bei einer erstaunlichen Textsicherheit und spätestens wenn man die Tanzschritte und Bewegungen in Ansätzen mitmacht, beginnt man langsam, die Mechanismen von Popmusik und Musikantenstadl zu verstehen. Die geheime Zutat (kommen Sie ein bisschen näher... Noch näher, das ist schließlich ein Geheimnis...) lautet: Penetranz.

Minidiskogeschädigte Eltern können sich einander, überall auf der Welt, mit einem leise gesungenen "A Ram Sam Sam" zu erkennen geben und zu spontanen Selbsthilfegruppen zusammenfinden - Ein Angebot, das Sie unbedingt nutzen sollten! Und wenn Sie darüber hinaus meinen Rat wollen: Führen sie immer und unbedingt einen MP3-Player mit Kontrastprogramm mit sich, um der vollständigen Assimilation zu entgehen. Konsumieren Sie dieses unbedingt im direkten Anschluss an die Minidisko! Bei mir hilft Sepultura, das mag bei Ihnen anders sein.

Herzlichst, Ihr Rock Galore

¹ http://youtu.be/U8rychiHRdk

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kunst kommt von Können

Schon GEZahlt? - Ein Plädoyer für den Rundfunkbeitrag

Der Tragikomödie zweiter Teil